_Offener Brief zum Vortrag über den KZ-Kommandanten Adolf Haas und der Berichterstattung in_ _der Celleschen Zeitung vom 15. November._
Der Historiker Jakob Saß hielt am 13. November in der Gedenkstätte Bergen-Belsen einen Vortrag unter der Ankündigung: _„Vom Bäcker zum KZ-Kommandanten: Die „erstaunliche“ SS-Karriere von Adolf Haas“_.
Der Titel der Berichterstattung am 15. November in der Celleschen Zeitung ließ uns erschaudern: _„KZ-Kommandant war faul – aber kein Judenhasser“_, war dort groß zu lesen.
Der NS-Verbrecher Adolf Haas war die längste Zeit des Konzentrationslagers Bergen-Belsen als KZ-Kommandant tätig. In diesem KZ wurden mehr als 52 000 Menschen ihres Lebens beraubt. Ein großer Teil der etwa 120 000 im KZ Bergen-Belsen eingesperrten, zu grausamer Arbeit gezwungenen, gefolterten und ermordeten Menschen waren Jüdinnen und Juden. Vor diesem Hintergrund verbietet sich die Frage, ob Adolf Haas womöglich ein „Judenhasser“ war. Diese Frage lenkt lediglich von seiner historischen Rolle ab: Er nahm als KZ-Kommandant eine leitende Funktion im organisierten Töten von Menschen ein. Adolf Haas war ein Täter, mitverantwortlich für den Tod von Tausenden. Diese Tatsache darf weder verschwiegen noch verharmlost werden. Im Artikel wird darüber kein einziges Wort verloren.
Weiter geht es im Artikel über den Vortrag von Jakob Saß darum, dass Adolf Haas womöglich für diesen Führungsposten ungeeignet gewesen wäre. _„,Er war faul und bequem‘, stellte der Referent fest. [...] Wie konnte ein so mittelmäßiger Mann Lagerkommandant werden?“_ _Anstatt die Verbrechen des Kommandanten zu them_atisieren, wird schlicht seine Eignung als Kommandant angezweifelt: Für die menschenverachtenden Aufgaben wäre er nicht fleißig genug gewesen. Diese Annäherung an Adolf Haas Karriere folgt der faschistischen Logik der SS, die mehr Disziplin von einem ihrer Funktionäre bei der Ausübung ihrer grausamen Verbrechen erwartet hätte.
Diese Darstellung der Biografie ist dem historischen Kontext der Brutalität des deutschen Faschismus vollkommen entrissen und verklärt die Geschichte. In unserer antifaschistischen Haltung muss die geschichtliche Aufarbeitung und Darstellung des NS immer zum Ziel haben, den Faschismus von der Wurzel an zu bekämpfen.
Wir erwarten von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten und dem Referenten Jakob Saß eine Stellungnahme zum Vortrag am 13. November und fordern von der Celleschen Zeitung eine Erklärung zu der unkritischen Berichterstattung von Udo Genth.
**Nie Wieder Faschismus – Nie Wieder Krieg!**
Celle, 20. November 2016
Antifaschistische Linke Celle [alc]
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
Ihrer Bitte um eine Reaktion auf Ihren offenen Brief vom 20. November 2016 komme ich gerne nach.
Ihren Offenen Brief kann ich inhaltlich nur bedingt nachvollziehen. Auf den Inhalt und die Diktion des Beitrages in der Celleschen Zeitung vom 15.11.2016 möchte ich nicht näher eingehen, um den Eindruck zu vermeiden, wir wollten die Berichterstattung über unsere eigenen Veranstaltungen zensieren. Uns erscheint es sehr viel angemessener, wenn diese Kritik aus der Gesellschaft heraus vorgebracht wird. Dies entspricht auch unserem Verständnis von Gedenkstättenarbeit, die durch eine Institution wie die Gedenkstätte Bergen-Belsen ja nicht stellvertretend für die Gesellschaft geleistet werden soll, sondern sich auch als Impulsgeber und Unterstützer für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen versteht.
Aus diesem Grund beschränke ich mich auf den Vortrag von Herrn Saß. In dem sehr differenzierenden Vortrag kam sehr wohl das verbrecherische Agieren von Adolf Haas insbesondere als Kommandant der Konzentrationslager Niederhagen und Bergen-Belsen zur Sprache und wurde auch mit konkreten Daten wie etwa der Todesrate unter den Häftlingen dieser beiden Lager unter dem Kommando von Haas belegt. Auch sein vom Antisemitismus geprägtes politisches Handeln als maßgeblicher NS-Funktionär in seiner Heimatgemeinde Hachenburg noch vor Beginn seiner SS-Karriere kam in dem Vortrag unmissverständlich zum Ausdruck. Allerdings war der Antisemitismus bei weitem nicht die einzige ideologische Triebfeder für die NS-Verbrechen – denken Sie etwa an die Rolle des Antibolschewismus. Mit dem Antisemitismus könnten auch nicht die Todesraten in Niederhagen erklärt werden, denn dort waren die Opfer vorwiegend politische Häftlinge sowie Zeugen Jehovas. Im übrigen war der Anteil politischer Häftlinge auch in Bergen-Belsen höher, als es in Ihrem Schreiben formuliert wird: Der Anteil politischer und jüdischer Häftlinge war in etwa gleich hoch, nämlich bei etwa 40 bis 45 Prozent (wobei genaue Angaben aufgrund der sehr lückenhaften Quellenlage nicht möglich sind).
Es dürfte damit nachvollziehbar sein, dass wir bei der Frage nach der Motivationsstruktur der Täterschaft nicht monokausal vorgehen dürfen, sondern differenziert sowohl ideologische als auch situative, soziale und habituelle Faktoren in den Blick nehmen müssen. Das hat Herr Saß, wie ich finde, wissenschaftlich fundiert gemacht – einschließlich der notwendigen gesellschaftsgeschichtlichen Kontextualisierung.
Ein wesentliches Anliegen der Gedenkstätte Bergen-Belsen ist die Würdigung der Opfer. Gleichwohl ist die Auseinandersetzung mit den Tätern und ihrer Motivation insbesondere für unsere Bildungsarbeit von zentraler Bedeutung – denn hier zeigt sich erheblicher Aktualitätsbezug. Aus meiner Sicht kommt es dabei auf eine Balance zwischen einem struktur- bzw. gesellschaftsgeschichtlichen und einem biografischen Zugang an. Eine Konzentration allein auf die Biografien der Täter wäre ahistorisch und würde die politischen Voraussetzungen und Verantwortlichkeiten wie auch die Profiteure dieser Massenverbrechen ausblenden. Eine allein strukturgeschichtliche Betrachtungsweise würde dagegen die individuelle schuldhafte Verantwortlichkeit der Täter wie auch ihre Handlungsspielräume nicht angemessen berücksichtigen. Meines Erachtens brauchen wir in der Forschung und in der Bildungsarbeit im Blick auf die NS-Täter auch eine biografische Differenzierung.
Ihren offenen Brief und dieses Schreiben leite ich cc gern an Herrn Saß in Berlin weiter, der dann selbst entscheiden kann, ob er darauf reagieren möchte.